01.07.2021 – #4 Kroatien

Der Berg

 

In Ivica Prtenjačas Roman Der Berg begibt sich ein Mann aus der Zagreber Kulturszene einen Sommer lang in die Einsamkeit einer kroatischen Insel und kehrt als ein anderer zurück. Klaus Detlef Olof macht die Umbruchstimmung in der Übersetzung gekonnt spürbar und hat den Roman eindrucksvoll aus dem Kroatischen ins Deutsche übertragen.

 

Was beim Lesen passiert, gleicht einer Autofahrt raus aus der Stadt. Wo sich zu Beginn ein Haus an das andere reiht, wechseln sich beim Ich-Erzähler zunächst noch die Erinnerungen und Gedanken an vergangene Tage in der Zivilisation ab – der verstörende Blickwechsel mit einem Unfallopfer, der ihm nachts den Schlaf raubt, die gescheiterte Ehe, die hochkante Kündigung wegen einer vermasselten Ausstellung mit seiner launigen Rede zum krönenden Abschluss: "Ich tat das mit jenem Genuss, mit dem man nicht durchdachte, aber befreiende Dinge tut. Schon Monate später war ich ganz woanders, eigentlich überall, nur nicht mehr auf solchen Ausstellungen."

 

So frei wie bedrückt lässt der Mann, der im Roman namenlos bleiben wird, seinen bürgerlichen Alltag hinter sich, um sich einen Sommer lang auf eine kleine Adriainsel zurückzuziehen. Sinnleeren Smalltalk, der noch aus Vernissagen bei ihm nachklingt, tauscht er gleich nach der Ankunft im verschlafenen Inseldörfchen gegen einsilbige Dialoge mit Einheimischen und begibt sich in der neuen Rolle als Brandwächter hinauf auf den Hausberg des Eilands. Die oben versteckte Karaule, ein alter Wachturm mit Blick auf Meer und Wälder, wird die neue Unterkunft von einem, der froh ist, seiner alten Welt entkommen zu sein, weil er ihr zunehmend müde geworden ist.

 

Der Überdruss, der ihn dorthin gebracht hat, weicht schnell banalen Tätigkeiten in der Natur und dem, was dort, fast wie der Zeit enthoben, geschieht. Skorpione, Panzerschleichen und Spinnen lassen ihn nachts aufschrecken und scheinen jede Ritze seines Bergverstecks zu kennen. Ein Glück, dass es zumindest den Pilgern, die Wallfahrt zur nahen Kapelle machen, verborgen bleibt und auch anderen, die es gelegentlich dorthin verschlägt, wie verschwitzten Bikern und Esoterikern, die Türme aus kleinen Steinchen auf den Wanderwegen hinterlassen. Der Ich-Erzähler tritt sie alle wütend um. Auf täglichen Rundgängen mit Esel Visconti, der ihm dort oben treuer und einziger Gefährte, manchmal auch geschätzter wie stummer Ansprechpartner ist, verschenkt er an anderen Tagen selbstgebackenes Brot, an die, die seinen Weg kreuzen: „Ich habe Angst, nicht mehr mit Menschen leben zu können, aber ebenso nicht mehr ohne sie.“

 

Manchmal trifft er auf den Kriegsveteranen Tomo, ein Waffennarr, der zusammen mit seinem Neffen Zoe Jagd auf Wildschweine macht. Er gewinnt den vom Jugoslawien-Krieg gezeichneten Eigenbrötler lieb und wird, noch ehe er das selbst begreift, von einer Familientragödie erschüttert, die Tomo das Leben kostet. Das Geschehen im Außen, in der Erzählung, gewinnt an Dynamik. Im Inneren des Erzählers aber wird es zunehmend ruhiger. Das unaufgeregte Wahrnehmen der Gegenwart, das Wegfallen der Rückblenden und Gedanken – die Fahrt aus der Stadt rollt langsam aus. Der Berg mit seiner Karaule ist der Transformationsraum, in dem sich Anhalten vollzieht und Stille einkehrt.

 

"Als wären mir plötzlich die Augen aufgegangen, stehe ich mitten in dieser Stube und kehre in die Welt der Menschen zurück, ich begreife, wie all das, mein Aufenthalt hier, so blödsinnig, so verrückt ist, wie sehr er außerhalb aller Regeln ist, die ich gekannt habe. Noch gestern hätte ich gesagt, dass ich das nicht kann. Noch gestern wäre ich vor diesem Ort geflohen wie von einer Hinrichtungsstätte. Aus diesem Zerfall, dieser Einsamkeit und Einöde. Aus dieser Wildnis, die ich vorgefunden habe und die mich ins Leben zurückgebracht hat, dass ich es erneut spüre."
 

Einer der spirituellen Königswege wird hier so unaufgeregt wie beiläufig beschrieben, wie es auch zum Stil des schmalen Bandes passt, der gänzlich ohne Pathos und abgegriffene Bilder auskommt. In der Übersetzung kommt dieser Kunstgriff so meisterlich wie bescheiden zum Ausdruck, die dichte und klare Sprache erfrischt und geht dabei immer auch tief. Dass der 1969 in Rijeka geborene Autor Ivica Prtenjača mit Gedichten bekannt wurde, die mehrfach ausgezeichnet und mittlerweile in 15 Sprachen übersetzt wurden, überrascht nicht. Vielmehr schon, dass Der Berg die erste Übersetzung ins Deutsche ist. Klaus Detlef Olof erweist sich dabei als Glücksfall für den Roman, als er nicht nur Prtenjačas geradlinigen Stil, sondern auch zentrale Wörter wie „Karaule“ im Kroatischen wiedergibt, was wie eine Brise über Seiten hinweg die Atmosphäre der kleinen Welt im Mittelmeer erfahrbar macht. Der Mensch, der zu Beginn der Erzählung in diese eingetaucht ist, steht am Ende auf derselben Fähre, die ihn hergebracht hat. Die verwaiste Hündin von Tomo mit dabei, von ihm selbst „ist nur ganz wenig geblieben, nur Nebensächlichkeiten.“

 

 

>> Ivica Prtenjača: Der Berg. Folio Verlag 2021. 163 Seiten, 22 EUR.

 

Rezension erstmals erschienen auf: TraLaLit.

Fast 1800 Kilometer lange Festlandküste, 66 bewohnte Inseln und mehr als tausend unbewohnte Eilande: Kroatien ist ein Paradies im Süden Europas. Das Gebiet wurde bereits vor einer Million Jahren von den Neandertalern bewohnt. Die Geschichte als souveräner Staat ist umso kürzer: Kroatien feierte gerade erst das 20-jährige Jubiläum, nachdem es nach der Auflösung des südslawischen Staatengebildes Jugoslawien 1991 die Unabhängigkeit erlangte. 

Traditionelle Musik hat in Kroatien einen hohen Stellenwert, allen voran der Klapa-Gesang. Die Tradition des Klapas geht auf mittelalterliche Kulturkreise zurück, die aus kleinen Küsten- und Inselorten stammen, etwa aus den Regionen Dalmatien, Primorje und Istrien. Der vielstimmige Gesang erfolgt in der Regel ohne instrumentale Begleitung. Klapa bedeutet "eine Gruppe von Freunden". 2013 trat die Supertruppe Klapa S Mora mit einem Klapa-Volkslied zum Songcontest an – fürs Finale reichte es nicht, in Kroation war die leidvolle Ballade "Mižerija" dennoch ein Hit.  >> Mižerija

Im Hinterland Istriens, in den dunklen, dichten Wäldern, die die mittelalterlichen Städte Motovun und Buzet umgeben, befindet sich tief in der Erde ein Trüffel-Mekka. Dort ist einer der reichsten Böden, wo man den schwarzen Diamanten, den Trüffel, finden kann. Erfahrene Einheimische sind dort mit ihren Hunden unterwegs, um diesen unterirdischen Pilz zu entdecken. Die kulinarische Köstlichkeit findet so auch in der istrischen Küche Verwendung, eine der bekanntesten Zubereitungsarten ist mit traditioneller istrischer Fuži Pasta. >> Fuži-Nudeln mit Trüffelsauce 

Das Adrialand verfügt über eine beachtliche Steilküste und ist längst mehr als ein Geheimtipp für Wanderungen, die sich freilich ganz anders als in den Alpen gestalten: Vom Meeresniveau steigen die Karstgebirge jäh bis über 1700 Meter in die Höhe. Jeder Urlaubsort weist inzwischen oft mehrsprachig beschriebene leichte und schwierigere Wanderwege aus - zum Beispiel im Süden auf der Halbinsel Peljesac, in Mitteldalmatien sowie im nördlichen Adria-Abschnitt südlich der Halbinsel Istrien. Die Dinara, gelegen an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina, ist mit ihren 1831 m Höhe der höchste Berg des Landes.  >> Die 20 schönsten Wanderungen in Kroatien

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